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Wo sind die blühenden Landschaften?

Ein Reisebericht 20 Jahre nach dem Mauerfall, eine Woche nach der Merkel-Wahl.

Die Nachricht hat Konrad Fuchs einen richtigen Schlag versetzt. Nach 28 Jahren stellt der schwedische Möbelhersteller Ikea in diesen Tagen die Produktion seiner « Billy-Regale » in der kleinen ostdeutschen Provinzstadt ein. « Wieder sind 178 treue Mitarbeiter auf den Müllhaufen der Marktwirtschaft geworfen worden », sagt Fuchs.

Der Mann ist Bürgermeister in Gardelegen. Seine Stimme klingt bitter, wenn er von dem Tag erzählt, an dem ihm die Betriebsleiter des Swedwood-Werks, in dem Ikea die Regale herstellte, das Ende der Produktion mitteilten. Schon zu DDR-Zeiten ließen die Schweden Regale in Gardelegen bauen, 1992 übernahmen sie den früheren Volkseigenen Betrieb (VEB) in eigener Regie – großzügig gefördert mit staatlichen Subventionen. Bald wird Billy in der Slowakei gebaut.

Nach Ansicht des umtriebigen Bürgermeisters sind es Nachrichten wie diese, die dazu führten, dass in dem dünnbesiedelten Landstrich an der Grenze zu Niedersachsen 20 Jahre nach dem Mauerfall bei der Bundestagswahl erstmals die SED-Erben mit ihrer Linkspartei zur stärksten politischen Kraft geworden sind. « Bei vielen ist die Enttäuschung groß », sagt Fuchs, « von blühenden Landschaften sind wir eben doch noch ein gutes Stück entfernt. » Viele verlören aus dem Blick, was in den vergangenen 20 Jahren besser geworden sei.

Für die aus Berlin kommenden Reporter macht die kleine Hansestadt Gardelegen durchaus einen blühenden Eindruck. Zumindest äußerlich. Die Umgehungsstraße wird gerade neu ausgebaut, die renovierte Altstadt erstrahlt in frischem Glanz, Rathaus und Marktplatz lassen die große Vergangenheit Gardelegens als Hansestadt erahnen, die Geschäfte in den Straßen sind belebt. « Hier lässt es sich gut aushalten », sagt auch der Bürgermeister und blickt aus seinem Amtszimmer auf den Marktplatz. Nur – aus eigener Kraft könne die Stadt trotz aller Postkartenschönheit nicht leben.

Die Sorgen, die Bürgermeister Fuchs in Gardelegen hat, sind typisch für viele kleinere Städte in Ostdeutschland. « Die hohe Arbeitslosigkeit ist unser Hauptproblem », sagt Fuchs. « Wir brauchen einfach mehr Industrie. » Der Bürgermeister, ein Sozialdemokrat, der das Amt seit 2001 innehat, rechnet dem Besucher den Unterschied zu einer vergleichbaren Stadt im Westen genau vor. Veitshöchheim in Bayern, zum Beispiel, mit 10 200 Einwohnern etwas kleiner als Gardelegen, bekommt allein aus der Einkommensteuer mehr als 3,5 Millionen Euro in die Stadtkasse. In Gardelegen sind es gerade mal 900 000 Euro. Der gewaltige Unterschied erklärt sich aus der höheren Arbeitslosigkeit und den immer noch niedrigen Löhnen.

Fuchs arbeitet hart dafür, Arbeitsplätze nach Gardelegen zu bringen. Auch wenn er die Härten der Marktwirtschaft gelegentlich beklagt, tut er alles, um seine Stadt im Standortwettbewerb ins rechte Licht zu setzen. Deswegen leistet sich Gardelegen seit 2001 mit Peter Timme einen hauptamtlichen Wirtschaftsförderer. « Wir werfen bei jedem Empfang die Netze aus », erzählt der. Und irgendjemand bleibe immer hängen.

Neueste Eroberung: Die Agenda Glas AG, ein frisch gegründetes Unternehmen, das die drei Monopolisten des deutschen Glasmarktes herausfordern will, baut in Gardelegen eine moderne Fabrik. Von 2010 an sollen hier 300 Millionen Flaschen im Jahr produziert werden. 150 Arbeitsplätze entstehen, 1200 Bewerbungen liegen der Personalabteilung bereits vor. 50 Millionen Euro investiert die Agenda Glas in das neue Werk. 40 Prozent der Wertschöpfung blieben in der Region, berichtet Vorstandsmitglied Josef Bockhorst. Für ihn und seine beiden Partner ist Gardelegen ein guter Standort, weil der Rohstoff Quarzsand nicht über weite Wege herantransportiert werden muss. Außerdem hat die Stadt dem Unternehmen 17 Hektar früheren sowjetischen Militärgeländes günstig überlassen.

Die große Ausnahme Jena NDLR : HS

Gardelegen ist auch 20 Jahre nach dem Mauerfall noch « Ziel-eins-Gebiet », wenn es um Förderung durch die EU geht. « Hier bei uns kriegen Sie die höchste Förderung – wie in Tschechien », wirbt Fuchs bei seinen potentiellen Investoren. Von den 216 Millionen Euro, die zwischen 1991 und 2008 in 61 gewerbliche Projekte in Gardelegen investiert worden sind, flossen 52 Millionen Euro als Fördergelder – also fast ein Viertel.

Trotz dieser Subventionen rechnen Ökonomen nicht damit, dass Gardelegen jemals mit Veitshöchheim gleichziehen kann. « Der Osten wird den Westen kaum einholen können », sagt Joachim Ragnitz, Chef des Ifo-Instituts in Dresden. Produktivität und verfügbare Einheiten sind immer noch um ein Fünftel niedriger als im Westen; die Wirtschaftskraft beträgt, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen, 71 Prozent des Westens. Aufgrund der doppelt so hohen Arbeitslosigkeit liegt dafür der Anteil der Sozialleistungen an den Haushaltseinkommen ein Fünftel über West-Niveau.

Von Carsten Germis und Inge Kloepfer

In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 04.10.2009, Nr. 40, S. 38.

1) Vor welchen Problemen steht der Bürgermeister von Gardelegen? Wie will er sie
lösen?

2) Im Dezember 1989 versprach Helmut Kohl, die ehemalige DDR in « blühende Landschaften » zu
verwandeln?
Wurde Ihrer Meinung nach dieses Versprechen
eingelöst?